Nachwirkungen des Game Stop „squeeze out“ – europäische Aufsicht ermahnt Kleinanleger


Die ESMA nimmt KleinanlegerInnen ins Visier und erläutert - in neuerdings sehr einfacher Sprache - in einer allgemeinen Erklärung, ob diese bei Kommunikation in sozialen Medien ggf. Anlageempfehlungen abgeben bzw. verbreiten und damit gesetzliche Vorgaben unterliegen. Begleitet wird die Erklärung mit Bildchen, die die Pflichten illustrieren sollen. Bei Verstoß droht die ESMA mit Geldstrafen, weiteren Aufsichtsmaßnahmen und der Staatsanwaltschaft. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang mit dem die ESMA auf die Schwarm-Phänomene Anfang diesen Jahres u.a. um die Kursturbulenzen um die Aktie der US-Games-Einzelhandelskette Game Stop reagiert. Was dahinter steckt und warum die ESMA letztlich ein „stumpfes Schwert“ führt, lest Ihr hier.

Was war passiert?
Anfang des Jahres brachten KleinanlegerInnen mit der Veröffentlichung von erheblichen Leerverkaufspositionen (also der Wette auf fallende Kurse) u.a. gegen Game Stop (sowie Big Players wie Nokia oder Blackberry) auf der Online-Diskussionsplattform Reddit milliardenschwere Hedgefonds in arge Bedrängnis. In einschlägigen Gesprächskanälen (zB „r/wallstreetbets“) wurde unter Pseudonym diskutiert, Game Stop-Aktien zu kaufen, damit den Kurs zu treiben (von EUR 30 auf zwischenzeitlich EUR 267) und damit Hedgefonds „eins auszuwischen“. Damit sollten die Hedgefonds gezwungen werden, ihre Leerverkaufspositionen zu liquidieren, um weitere Verluste zu vermeiden bzw. Deckungskäufe für ungedeckte Leerverkaufspositionen dieser Aktien zu tätigen. Dies sollte den Aktienkurs weiter treiben. Letztlich ging der Plan – sicherlich auch weiter befeuert durch institutionelle „Trittbrettfahrer“ – auf, Hedgefonds wurden „herausgequetscht“ und machten Milliardenverluste (der Hedgefonds Melvin Capital z.B. verlor rund die Hälfte seines Vermögens von EUR 12,5 Mrd. – siehe z.B. hier).

Was wurde ursprünglich als Reaktion diskutiert?
Es gab Bestrebungen, die Regeln zur Marktmanipulation nach Marktmissbrauchsverordnung („MAR“) gegenüber den KleinanlegerInnen anzuwenden.
Jedoch sind die Regeln auf institutionelle AnlegerInnen zurechtgeschnitten. Sie erfassen letztlich die losen und unverbindlichen Absprachen von pseudonymen KleinanlegerInnen in sozialen Medien mangels Täuschungsabsicht (es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gewinne gemacht werden sollen) bzw. glaubhafter Informationen der pseudonymen DiskutantInnen nicht.
Auch das Sichern einer marktbeherrschenden Stellung mittels direkter Kommunikationskanäle, das sog. „abusive squeezing“, dürfte den KleinanlegerInnen letztlich nicht nachgewiesen werden können, da viele nur reagierten / den Aufrufen schlicht folgten, aber nicht aktiv Absprachen getroffen wurden. Zudem dürfte das Aufspüren von pseudonymen KleinanlegerInnen in sozialen Medien sehr hohen Aufwand erfordern, was eine tatsächliche Verfolgung sehr erschweren und massive Ressourcen binden dürfte.

Wie wurde jetzt reagiert?
Nachdem bei der Aufsicht und (juristischen) MarktteilnehmerInnen klar wurde, dass der Marktmanipulationshebel bei Schwarm-Phänomenen nicht greifen kann, wurde nun auf ein anderes Arsenal aus dem Marktmissbrauchsbereich zurückgegriffen: die Vorgaben für Anlageempfehlungen, die die ESMA in betont einfacher Sprache in einem Zweiseiter (hier) insbesondere auf soziale Medien bezieht. Begleitet wird dies von einfachen Bildchen. Hier die Hauptpunkte:
• Aufruf zum Kauf von Aktien in sozialen Medien könne Abgabe/Verbreitung von Anlageempfehlungen sein
• Anlageempfehlungen sind Informationen, die eine Anlagestrategie zu Finanzinstrumenten (wie Aktien) oder Emittenten (z.B. Game Stop) empfehlen oder vorschlagen, eine Meinung zum Ist- oder Soll-Kurswert enthalten und für Vertriebskanäle oder die Öffentlichkeit (häufig Analyseberichte, aber auch traditionelle oder soziale Medien) bestimmt sind
• meist geben FinanzanalystInnen, Banken oder Broker Anlageempfehlungen ab – aber auch KleinanlegerInnen, die soziale Medien nutzen, um breitere Bekanntmachung zu erreichen, empfehlen Anlagen und sind Ziel der EU-Vorgaben
• inhaltlich müssen Anlageempfehlungen nach EU- und nationalem Recht
o offenlegen, wer dahintersteckt
o objektiv dargestellt werden (zB Tatsachen klar von Meinungen / Schätzungen unterscheiden)
o erklären, wie Interessenkonflikte der Empfehlenden möglichst minimiert / vermieden werden (zB Verbundenheit mit Personen hinter dem empfohlenen Finanzinstrument offenlegen)
o der Aufsichtsbehörde angezeigt werden (1-Seiter-Formular bei BaFin)

Was steckt dahinter?
Die ESMA, die sich grundsätzlich eher an nationale Aufsichtsbehörden wie die BaFin, aber nicht an KleinanlegerInnen wendet, versucht nun offenbar, das Schwarm-Phänomen von losen, eher unkonzertierten Aktionen unter Nutzung sozialer Medien (Reddit, es können aber auch durchaus Facebook, Instagram oder Messenger wie Telegram, Signal oder Whatsapp in Betracht kommen) über die (beschränkten) Instrumente der MAR-Vorgaben zur Anlageempfehlung in den Griff zu bekommen. So sollen KleinanlegerInnen von (der Verbreitung von) Aufrufen zum Kauf/Verkauf von Finanzinstrumenten abgeschreckt werden bzw. sich der (durchaus systemischen) Auswirkungen bewusst werden.
Sie droht „Geldstrafen“ (bis EUR 50.000), weitere Aufsichtsmaßnahmen und Verfolgung als Straftat (hier dürfte es jedoch in Deutschland wohl an einer Straftat mangeln) bei Verstoß gegen Anlageempfehlungsvorschriften an.

Stumpfes Schwert?
Jedoch: Häufig dürfte tatsächlich schlichtweg gar kein Verstoß gegen Anlageempfehlungsvorschriften bestehen. Zudem dürfte die Ermittlung und Aufdeckung angesichts pseudonymer NutzerInnen sozialer Medien unverhältnismäßigen Aufwand erfordern. Letztlich dürfte sich – obschon des hehren Ziels, Finanzmärkte zu stabilisieren – die Erklärung mehr in einem Appell bzw. Wunsch der ESMA erschöpfen. Ein scheinbar reichlich stumpfes Schwert.
Das Schwarm-Phänomen wird wohl bleiben – es wird spannend zu sehen, wie Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden reagieren werden.