Krypto-Standort Deutschland verliert an Boden – gesetzliche Regelung elektronischer Wertpapiere droht sich zu verzögern


Bereits im September 2019 stellte die Bundesregierung ihre Blockchain-Strategie vor, die zukünftig Deutschlands Stellung als Vorreiter im Bereich der Krypto-Regulierung hätte etablieren sollen. Aufmerksamkeit erlangte insbesondere das Bestreben, den deutschen Kapitalmarkt für die Möglichkeit elektronischer Wertpapiere zu öffnen, sodass die - derzeit zwingende - urkundliche Verkörperung von Wertpapieren in Papierform nicht mehr uneingeschränkt gelten würde. Dies wäre mit enormen Vorteilen für Emittenten verbunden. Nach etwas mehr als einem dreiviertel Jahr – das entsprechende Eckpunktepapier des Bundesfinanz- und -justizministeriums stammt gar aus März 2019 – scheint, anstelle der (berechtigten) Euphorie, eine gewissen Ernüchterung getreten zu sein. Droht dadurch ein Digitalisierungs-Stopp zum Nachteil deutscher FinTechs?

Der globale Wettlauf in Bezug auf die immer weiter fortschreitende Digitalisierung macht auch vor dem Finanzmarkt nicht Halt. Vor allem die aktuelle (Weiter-)Entwicklung der Distributed Ledger Technology (z.B. Blockchain) erlaubt lange Zeit vermisste Innovationen, da sie es bspw. ermöglicht, die virtuelle Abbildung von Werten und Rechten („Tokenisierung“) unterschiedlichen Inhalts unmittelbar elektronisch zu übertragen – weitgehend ohne teure Intermediäre (Clearing- und Wertpapier-Verwahrstelle, Broker, etc.) einschalten zu müssen. Folge wäre – zumindest in der Theorie – erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse für kapitalsuchende Unternehmen, wenn Emission, Verwaltung und Verwahrung der virtuellen Werte/Rechte („Token“) weitgehend durch ein auf der zugrundeliegenden Blockchain integriertes Computerprotokoll (sog. Smart Contract) erfolgen können.

(Schlechter) Ruf von ICOs – Ausstrahlung auf STOs

Die blockchainbasierte Emission von Token (beginnend mit sog. „Initial Coin Offering“ bzw. „ICO“ – ausführlich zum aufsichtsrechtlichen Rahmen hier) wurde seit Beginn als alternativer und – im Vergleich zu traditionellen Finanzierungen über Bankkredite u.ä. – deutlich kosteneffizienterer Weg zur Kapitalaufnahme wahrgenommen. Seit 2017 ist ein Rückgang bei ICO-Launches zu beobachten. Hauptgrund hierfür dürfte sein, dass viele ICO-Initiatoren dem Irrglauben unterlagen, vermeintlich regulierungsfreie ICOs starten zu können, was die Regulierungsbehörden anders sahen. Auch teilweise betrügerische Geschäftspraktiken einzelner ICO-Initiatoren, bei denen Geldgeber teils um ihr Investment gebracht wurden, trugen dazu bei.

Demgegenüber kristallisierten sich schnell sog. Security Token Offerings (und weitere „Unterformen“ wie Equity Token Offerings (ETO), Initial Exchange Offerings (IEO), Continuous Token Offerings (CTO), etc. heraus. Diese waren – anders als häufig ICOs – auf Investmentzwecke zugeschnitten und drängten mehr in Richtung (Wertpapier-)Regulierung – und damit in die entgegengesetzte Richtung von ICOs. Ganz konnten die STOs den schlechten ICO-Ruf aber nicht abschütteln.

Auch deshalb wurde eine mehr zugeschnittene und sich mit den Besonderheiten der Blockchain auseinandersetzende Regulierung von Token und deren Emission gefordert. Durch mehr Rechtssicherheit und damit verbundenen Anlegerschutz soll Schritt für Schritt – auch im internationalen Vergleich – das Vertrauen potentieller Geldgeber zurückerobert werden.

Status Quo nach deutschen Recht – Unterschied aufsichtsrechtlicher/zivilrechtlicher Wertpapierbegriff

Zentraler Baustein dieser Krypto-Regulierung sollte sein, dass im Rahmen eines STO emittierte Token zivil- und aufsichtsrechtlich übereinstimmend als Wertpapier einzuordnen sein werden. Nach aktueller Rechtslage kann diese Einordnung auseinanderfallen, was zum Teil für starke Verunsicherung sorgt.

Aufsichtsrechtlicher Wertpapierbegriff

Aus aufsichtsrechtlicher Sicht sind Voraussetzungen für die Einordnung von Token als Wertpapier (dann häufig als „Security Token“ bezeichnet)

  • Übertragbarkeit, d.h. die Token müssen überhaupt technisch auf andere übertragen werden können, ohne, dass sie in ihrem wesentlichen rechtlichen Gehalt und technischem Wesen verändert werden;
  • Handelbarkeit, d.h. die Token müssten nach Art und Zahl bestimmt werden können und bspw. an einer Kryptobörse veräußert/erworben werden können;
  • wertpapiertypische Rechte, die jeweiligen Token müssen mitgliedschaftliche Rechte verkörpern und daher mit Aktien vergleichbar sein und/oder schuldrechtliche Ansprüche des Erwerbers (z.B. Zinsen oder Gewinnbeteiligungen) vermitteln – und daher mit Bonds / Anleihen vergleichbar sein. Entscheidend ist letztlich eine finanzielle Gegenleistung für die Hingabe des Geldes durch den Erwerber der Token (hierzu und zu den Aussagen der BaFin zur Einordnung von Security Token als Wertpapier hier); und
  • die Token dürften nicht als reines Zahlungsinstrument einzuordnen sein, bspw. weil mit ihnen bestimmungsgemäß nur Zahlungsvorgänge eingeleitet werden könnten.

Weitere Anforderungen an die Einordnung von Security Token als Wertpapier bestehen nicht, was auch die BaFin in einer Veröffentlichung im Juli 2018 bekräftigt hatte. Aus aufsichtsrechtlicher Sicht ist es insbesondere nicht notwendig, dass Security Token auf Papier als Urkunde verkörpert sind.

Zivilrechtlicher Wertpapierbegriff

Hier besteht nun eine wesentliche Hürde, die der deutsche Gesetzgeber auf dem Weg zu elektronischen Wertpapieren noch zu nehmen hat, um so Vertrauen in die Sicherheit eines Investments in Security Token zu erreichen.

Bislang sieht die Rechtslage in Deutschland nicht vor, dass Wertpapiere (im zivilrechtlichen Sinne) vollkommen tokenisiert, d.h. dematerialisiert, begeben werden können. Es gilt, dass derartige Investment-Produkte (wie z.B. auch Aktien oder Inhaberschuldverschreibungen) in Form einer Urkunde verbrieft sein müssen, um als Wertpapier im zivilrechtlichen Sinne zu gelten. Dadurch soll eine zuverlässige Übertragung von Wertpapieren, bspw. auf einen Zweiterwerber, gewährleistet werden, weil die in der Urkunde enthaltenen Werte/Rechte automatisch mit auf den Erwerber übergehen (sog. Legitimations- und Übertragungsfunktion).

Für Inhaberschuldverschreibungen – auf diese soll die geplante neue Krypto-Regulierung zunächst beschränkt bleiben – als eine Art von Wertpapier im zivilrechtlichen Sinne ergibt sich dies aus §§ 793 ff. Bürgerliches Gesetzbuch („BGB“). Bislang zeichnen sich diese dadurch aus, dass der Schuldner grds. nur gegen Aushändigung eines Papiers leisten darf/muss, auf der die zugrundeliegende Forderung näher beschrieben wird.

Nur so könne nämlich der – aufsichtsrechtlich unerhebliche – Gutglaubensschutz gewährleistet werden, weshalb Erwerber von Wertpapieren nicht fürchten müssen, ihr Geld zu verlieren, sollte bspw. die in einer Inhaberschuldverschreibung „verkörperte“ Forderung nicht rechtmäßig an sie abgetreten worden, die entsprechende Papier-Urkunde gleichwohl vorhanden sein.

Aus aufsichtsrechtlicher Sicht würde hingegen bereits ausreichen, dass Tokeninhaber sowie die in dem Token verkörperten Rechte dokumentiert sind – hierzu genügt z.B. ein Register, basierend auf der Blockchain-Technologie.

Geplante Neuregelung elektronischer Wertpapiere

Um diese Unterscheidung aufzuheben, ist  eine Gesetzesänderung geplant, wodurch Wertpapiere (im aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Sinne) zukünftig durch bloße Eintragung in ein Register (z.B. auf einer Blockchain) emittiert werden könnten. Dieses Register soll als „Urkunden-Ersatz“ dienen, in dem Forderungsinhaber (Erwerber des Security Token) und individuelle Merkmale der Wertpapiere (z.B. Nummer, vergleichbar einer International Securities Identification Number bei Aktien) für jedermann einsichtbar festgehalten sind.

Dafür sollen hohe Anforderungen an das Register gestellt werden, da die Eintragung auf der Blockchain die zweifelsfreie Feststellung des Inhabers (Authentizität) und die Unverfälschtheit des Wertpapiers (Integrität) ermöglichen muss. Um dies zu gewährleisten, soll die Registerführung daher staatlich oder unter staatlicher Aufsicht, also durch aufsichtsrechtlich lizenzierte Registerführer, erfolgen.

Bundesregierung zögert (zu) lange

Das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung erscheint nicht nachvollziehbar. In der aktuell bereits üblichen Form der Verkörperung in einer Globalurkunde, reicht faktisch auch bereits jetzt eine Eintragung in ein (Wertpapier-) Register aus, um eine Inhaberschaft zu begründen. Eine Gesetzesänderung, wonach Urkunden in Papierform als tatbestandliche Voraussetzung für Wertpapiere im zivilrechtlichen Sinne nicht mehr erforderlich wäre, erscheint kein (allzu) großer Schritt mehr zu sein.

Auf europäischer Ebene ist man in dieser Angelegenheit deshalb auch schon weiter. Bereits am 10. Juni hat ein Expertengremium der EU-Kommission seinen finalen Bericht zur Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion vorgestellt. Dieser empfiehlt die Einbettung von Security Token und der Blockchain-Technologie in die europäische Finanzmarktregulierung. Zuletzt war Liechtenstein mit dem Entwurf eines digitalen Wertrechts vorgeprescht, dass das Urkundenerfordernis für bestimmte Finanzinstrumente aufhebt.

Nach den Plänen der Bundesregierung sollte Deutschland eigentlich eine Vorreiterrolle einnehmen (wir berichteten hier und hier). Warum die Bundesregierung – trotz ambitionierter Ankündigung – nicht entschlossener vorangeht, ist unverständlich. Dies allein auf die Corona-Krise zu schieben, scheint zu kurz gegriffen.